Manuela
Posted on 10/12/2014 by kathrin
Heiligenhafen, im November 2014
„Wenn mein Erzeuger mich auf der Straße sieht, wechselt er auf die andere Seite“, ist fast das erste, was Manuela mir erzählt. Und: „Meine Lebensuhr läuft. Ich habe 24 Jahre meines Lebens in die Tonne getreten. Ich habe nicht gelebt, ich habe vor mich hin vegetiert.“
Wir sitzen im Auto und fahren Richtung Strand. Getroffen haben wir uns auf dem Marktplatz von Heiligenhafen. „Ich muss ganz dringend weg aus dieser Stadt“, sagt sie. „Seit meinem Outing ist es hier überhaupt nicht mehr auszuhalten.“
Nächstes Jahr wird Manuela nach Lübeck ziehen, weg aus Heiligenhafen. Weg von den Menschen, die sie nicht akzeptieren können.
Wir parken auf dem Strandparkplatz, laufen Richtung Meer und Seebrücke. „Dahinten siehst du die Brücke über den Fehmarnsund. Von der wäre ich Nikolaus 2003 fast gesprungen.“
Die Sonne scheint, der Wind ist schneidend. Manuela schließt kurz die Augen, bevor sie weitererzählt.
„Mein Vater hat mich schon mit sechs verprügelt. Der wollte einen starken Mann aus mir machen. Ich habe als Kind mit Puppen und Mädchen gespielt, das passte ihm nicht. Wenn der nicht zu Hause war, hat meine Mutter schon auch mal mit mir in der Küche gestanden und gebacken. Mein Erzeuger bekam sowas irgendwie immer raus. Dann bekam ich Prügel mit dem Ledergürtel Wenn ich geheult habe, ging’s weiter.“
In der 8. Klasse stand ein Schulpraktikum an. Manuela meldete sich beim besten Friseur in Heiligenhafen. Dieser kreative Beruf faszinierte sie. „Als mein Erzeuger davon Wind bekam, schlug er mir mit der blanken Faust mitten ins Gesicht. Ich sehe das noch vor mir: wir standen in der Küche und auf einmal lag ich am Boden.“ Manuelas Mutter sah nur zu.
Das Praktikum musste Manuela schließlich an Bord des Kutters ihres Vaters machen. „Später zwang er mich auch, eine Lehre als Fischwirt zu machen. Die Jahre an Bord waren die Hölle für mich.“
„Die einzige, die mich immer so akzeptiert hat wie ich bin, war meine Oma. Wir hatte eine ganz starke Bindung zueinander. Als ich 2012 auf der Brücke stand und springen wollte, war sie es, die mich zurückgeholt hat. Da war sie schon tot. Aber es gab da so eine Kraft, die mich zurückgehalten hat.“
Der Tod ihrer Oma war ein sehr schlimmer Einschnitt.
„Das hat mich völlig umgehauen. „Leb dein Leben!“ hat sie im Krankenhaus noch zu mir gesagt. Danach hab ich sie nur noch zehn Tage gehabt.“
Manuela bleibt stehen, kämpft mit den Tränen. „Das ist auch ein Erfolg der Hormone, dass ich endlich weinen kann.“ Langsam gehen wir weiter. „Als ich zur Beerdigung meiner Oma kam, war der Sarg schon geschlossen. Ich bat den Totengräber, den Deckel noch mal zu öffnen. Ich wollte doch Abschied nehmen! Mein Erzeuger hat das verhindert: Sarg offen lassen kostet extra.“
Manuela setzt sich auf eine der Bänke und sieht übers Meer. Die Knie tun ihr weh.
„Am 9.12.2009 wurde ich in Heiligenhafen zusammengeschlagen. Am 16.1.2010 bin ich in der Klinik in Lübeck wieder aufgewacht. Über einen Monat später!“
Die Krankenschwester musste der gerade aus dem Koma erwachten Patientin die aktuelle Tageszeitung holen, bevor sie überhaupt glaubte, was ihr da erzählt wurde: Über einen Monat bewusstlos, über einen Monat des Lebens verloren.
Fotos haben sie ihr gezeigt, davon, wie sie aussah, als sie eingeliefert wurde. „“Entschuldigung, Leute, aber das bin ich nicht“, habe ich denen gesagt. Das war alles blau und Matsch.“
Vier Tage vor diesem 9.12. hatte Manuela sich endlich getraut als Frau auf die Straße zu gehen. Am Abend des vierten Tages wollte sie auf dem Marktplatz Heiligenhafen in ihr Auto steigen und wurde von hinten überfallen. Sie brachen Manuela den Kiefer, die Rippen. Die Kniescheiben. „Du kannst mich fragen, was nicht kaputt war. Das ist einfacher aufzuzählen. Ich bin Schmerzen gewohnt. Das habe ich meinem Erzeuger zu verdanken. Als sie mich zusammen schlugen, habe ich deshalb zuerst gar nichts gespürt. Erst als sie mir auf die Knie sprangen, fing ich an zu schreien. Diese Art von Schmerz kannte ich nicht.“
Die Täter waren zu zweit. Sie wurden nie gefasst.
Als Rettungsassistentin hatte Manuela bis dahin gearbeitet. Den Eignungstest, der einmal im Jahr durchgeführt wird, bestand sie nach diesem Vorfall nicht mehr.
„Ich bin da die Leiter hoch und runter geklettert, habe alles gemacht, was sie von mir wollten. Ich hätte heulen können vor lauter Schmerzen, aber ich biss die Zähne zusammen. Ich wollte doch unbedingt weiterarbeiten. Aber die haben es gemerkt, da war ich raus.“ Heute ist Manuela krank geschrieben.
Es war während ihrer Ausbildung als Manuela begann ein Doppelleben zu führen. Jahrelang. Bei der Arbeit gab sie sich als Mann, in ihrer Wohnung und abends, wenn sie nach Hamburg fuhr, war sie sie selbst: eine Frau. „Ich hatte immer zwei Garderoben im Auto. Habe an der Raststätte angehalten und mich umgezogen. 24 Jahre meines Lebens habe ich in die Tonne getreten. Meine Lebensuhr tickt. Ich habe keine Zeit mehr zu verlieren.“
Seit Februar 2014 nimmt Manuela Hormone. Keine Zeit zu verlieren: gleich mit Beginn der Hormontherapie beantragte Manuela eine neue Bankkarte. Da war ihre offizielle Namensänderung noch nicht durch. Bei ihrer Bank traf sie auf einen toleranten Menschen. „Das wird nicht einfach, aber wir bekommen wir das schon hin, Frau Schneider.“ Frau Manuela Schneider stand auf dem Brief, als die neue Karte ankam. „Das war ein verdammt großer Moment.“
Es gibt ein weiteres offizielles Dokument, auf dem ihr Frauenname steht, eines das jeder transidente Mensch immer bei sich führen muss bis die Namensänderung durch ist:
Es ist der Ergänzungsausweis der DGTI (Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität), der ihr bescheinigt, dass sie eine tranidente Frau ist.
„Das ist wichtig. Wenn ich zum Beispiel auf der Damentoilette bin und sich jemand beschwert, muss ich beweisen können, dass ich eine Frau bin.“
Toleranz hatte Manuela sich bei ihrer Krankenkasse erhofft. „Von denen hatte ich noch viel mehr erwartet, als von meiner Bank. Sollen die nicht eigentlich die Grundlage dafür schaffen, dass ich ein gesunder Mensch sein kann?“ Manuelas Erfahrungen führen zu einem Fazit, das ich leider nicht zum ersten mal höre: „Die Krankenkassen sind der größte Feind, den wir Transsexuelle haben.“
Manuela erzählt, wie einige vor ihr, von offensichtlichen Schikanen. „Jetzt wollen sie einen transsexuelle Lebenslauf von mir. Von der Kindheit bis heute. Mensch, ich hab denen doch schon drei Gutachten vorgelegt. Aber entweder du spielst mit oder es besteht die Gefahr, dass sie deine Anträge ablehnen. Die machen mir wirklich das Leben zur Hölle.“
Sogar eine neue Versichertenkarte mit ihrem weiblichen Vornamen wird ihr verweigert. Die hatte Manuela mithilfe eines Musterbriefes beantragt, den sie sich bei der DGTI heruntergeladen hatte. Es kam ein ablehnender Bescheid. Als sie sich beschwerte, war die Antwort am Telefon: „Wir können auch ganz anders mit Ihnen, Herr Schneider.“
Es sind die kleinen Dinge, die Menschen kaputt machen können.
Von einer Freundin bekam Manuela eine Krankenkasse empfohlen, die transidente Menschen als Menschen behandelt, die sogar einen dezidierten Ansprechpartner hat, der sich mit der Thematik auskennt. Manuela wollte wechseln und reichte die Kündigung bei ihrer Kasse ein. Zunächst bekam sie einen Brief mit einer Kündigungsbestätigung mit einer Frist von zwei Monaten. Zwei Tage später kam ein Einschreiben, in dem diese Frist auf Juli 2015 verlängert wurde . „Die vergeuden mein Leben. Das sind weitere Monate, die ich nur mit Warten verbringen kann.“
Um von einer neuen Krankenkasse angenommen werden zu könne, benötigt man die Kündigungsbestätigung der Vorgängerkasse.
Manuela erzählt weiter: „Gutachten, die ich ihnen geschickt habe, sind verloren gegangen. Mehrfach. Plötzlich behaupteten sie auch noch, mich gar nicht als Versicherte zu führen.“
Manuela kopierte jeglichen Schriftverkehr, der jemals statt gefunden hatte und fuhr damit zur Zentrale nach Hamburg. Dort unterstellte man ihr, die Unterlagen gefälscht zu haben „“Und jetzt gehen Sie besser,“ haben die zu mir gesagt und mich nach Draußen befördert.“ Manuela nahm sich einen Anwalt. Auch er bekam nach 4 Wochen noch keine Stellungnahme von der Krankenkasse.
Der Wind wird kälter; wir fahren zurück nach Heiligenhafen, um noch einen Kaffee zu trinken. Wir parken am Marktplatz. Eigentlich hübsch diese Häuser, die Altstadt. Ich versuche mir vorzustellen, was Manuela genau hier erleben musste. Eine Frau, die zusammengeschlagen wird, weil sie sich nicht in eine Schublade stecken lässt.
„Mein größter Traum ist es, 2016 endlich alles abgeschlossen zu haben, endlich komplett zu sein. Endlich an den Strand gehen zu können. Und dann irgendwann einmal in Weiß zu heiraten.“
Im Café möchte ich Manuela auch zu einem Stück Kuchen einladen. „Oh nein, sowas esse ich nicht, ich muss doch auf meine Linie achten. Zum Glück habe ich mit den Hormonen nicht zugenommen. Aber ich bin ja schon so recht kräftig gebaut.“ Manuela lacht. „Mein Hausarzt meinte schon, dass ich ein D-Körbchen brauchen werde, das sieht ja sonst nicht aus.“ Manuelas Hausarzt, der sie auf ihrem Weg begleitet hat. Der immer für sie da war und sie stützt, wo er kann. Der dafür sorgte, dass sie wieder laufen kann, obwohl man ihr nach dem Überfall ein Leben mit Rollator in Aussicht gestellt hatte.
Wir suchen uns einen Tisch mit Blick auf den Marktplatz. Manuela wird wieder ernst. „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Da kann ich nur lachen! Vor ein paar Wochen gab es eine Sendung auf RTL, da wurden transidente Frauen so dargestellt, als würden sie sich alle prostituieren. Am nächsten Tag wurde ich beim Einkaufen von den Leuten hier angesprochen, wie das denn bei mir so ist.“
Im Januar 2013 outete Manuela sich bei ihren Eltern. „Mein Erzeuger reagierte vorhersehbar, der nannte mich pervers, abartig, reif für die Irrenanstalt.“ Akzeptanz hatte sie sich von ihrer Mutter erhofft. „Ich habe einen gesunden Jungen zur Welt gebracht und nicht so was Krankes wie dich“, war ihre Reaktion. „Mutti ich war nie ein Junge!“ Manuela zeigte ihrer Mutter ein altes Foto von sich. Ein Foto, das ihr viel bedeutet und das sie hütet wie einen Schatz. „Schau mal, Mutti, ich seh doch da schon aus wie ein Mädchen!“ Ihre Mutter verstand nicht.
Im Spätsommer 2014 versuchte Manuela noch einmal, ihrer Mutter näher zu kommen. Sie besuchte sie und erzählte auch von ihrem Selbstmordversuch, „Mutti, ich wäre da fast von der Brücke gesprungen.“ „Du bist selber schuld, hättest ja einfach so weiterleben können.“ Manuela brach den Kontakt ab.
„Ich bin den Menschen immer mit Respekt begegnet. Und selber bekomme ich keinen.“
Auch ihre Freunde hat Manuela verloren. „Die haben es geschafft, mir einen echten Dolchstoß zu versetzen.“ Es war dieses Jahr zum Hafenfest in Heiligenhafen. Manuela war mit ihren Freunden verabredet, gemeinsam wollten sie losziehen. „Ich habe mich schön vernünftig fertig gemacht, bisschen schick.“ Dann kam eine SMS. Manuela wurde gebeten, Zuhause zu bleiben oder als Mann zu kommen, um die anderen nicht zu blamieren. „Ich habe Rotz und Wasser geheult.“
Es ist Zeit aus Heiligenhafen weg zu gehen.
Pingback: Fotoprojekt Transgender | Max ist Marie
Mein Herz tut mir weh, diese heutige deutsche Geschichte aus Heiligenhafen einer Frau zu lesen. Sie ist schlimm. Mutige Manuela, trotzdem weiter zu machen und an sich zu glauben. Schöne Fotos, ernsthaft und empathisch geschriebenes Zeugnis eines Lebens von einer wertvollen Frau und Menschenseele.
Unglaubliche Geschichte und trotzdem real. Liebe Manuela Du bist eine starke und sehr attraktive Frau. Die Zeit wird Dich in einen neuen Lebensabschnitt führen und Du wirst Deinen Platz finden. Ganz ganz sicher!!! Gehe den richtigen Weg. Ich wünsche Dir viel Kraft, Glück und Selbstvertrauen auf Deiner Reise.
Ganz liäbi Grüess
Andrea
Starkes Stück was du durch machen musstest. Hut ab.deine Omi hatte recht Lebe dein Leben.
Viel Glück ihn der Neuen Heimat dann
Schlimm, was Manuela erfahren musst. Und wie unterschiedlich doch die Geschichten seine können, wenn ich an meine Denke, die hier auch zu lesen ist.
Ich wünsche Manuel weiter viel Kraft und alles Gute! Lasse dich nicht unterkriegen und lebe dein Leben!
Asta