Konstantin
Posted on 25/09/2014 by kathrin
Berlin, im September 2014
In Konstantins Mittagspause treffen wir uns in einem Park in Prenzlauer Berg. „Irgendwie laufe ich ständig in Filmkameras seit ich in Berlin lebe. Bei Sonnenschein verbringe ich meine Mittagspause häufig in diesem Park und genieße die Sonne. Einmal bauten sie direkt vor meiner Nase ein Filmset auf. Da saß dann mal eben Renate Künast beim Picknick.“
Konstantin hat Kommunikationsdesign studiert und kam vor ein paar Monaten aus Mannheim nach Berlin, um ein Praktikum in einer kleinen Agentur zu machen. Die Arbeit macht ihm Spaß, „besonders, weil wir nur wenige sind und so jeder an allem mitarbeiten kann. Das bietet viele Möglichkeiten. Frustrierend ist es nur, wenn die Kunden etwas Cooles ins Hässliche geändert haben wollen.“ Konstantin lacht.
Wir sitzen uns gegenüber auf dem Rasen, heute scheint die Sonne nicht. Es ist fast schon herbstlich. „Das Wetter in Mannheim fehlt mir schon. Ich mag Wärme und Sonnenschein. Davon gibt es hier einfach weniger. Ursprünglich komme ich aus der Ecke Freiburg, das ist ja die Toskana Deutschlands. Aber zurück nach Freiburg wollte ich auch nicht. Ich mag es sehr, dort zu Besuch zu sein. Auf der einen Seite die Vogesen, auf der anderen der Schwarzwald, das ist schon einmalig. Das ist meine Heimat. Aber es gibt noch so vieles zu sehen. Auch wenn ich dankbar bin, hier zu sein: Berlin ist auch nicht meine Endstation. Hier hat mein neues Leben angefangen. Endlich kann ich in meinem Beruf arbeiten.“
Nach dem Studium gönnte Konstantin sich zwei Jahre Auszeit. Mit der Transition hatte er schon im letzten Semester seines Studiums begonnen; sie sollte vollständig abgeschlossen sein, bevor ein neuer Lebensabschnitt beginnen konnte.
Schon in der Pubertät weiß Konstantin, dass etwas nicht stimmt. „Aber ich wusste nicht, was es war und schon gar nicht, dass mir geholfen werden kann.“ Konstantin geht es seelisch immer schlechter. Er sucht Zuflucht in Alkohol, Drogen, Tabletten. „Zu der Abhängigkeit gesellten sich Zwangsstörungen und Sozialphobien.“ Konstantin erzählt ganz ruhig, er lächelt vorsichtig, als er meint: „Es ist schon toll, wie angenehm unspektakulär mein Leben jetzt ist. Ich bin einfach nichts Besonderes mehr.“ Mit Beginn der Transition fallen alle Zwänge von Konstantin ab. Er kann wieder atmen. „Seither ist auch mein Verhältnis zu meinen Eltern und meiner Schwester viel besser. Es ist ehrlicher und intensiver.“ Als Konstantin seine Eltern einweiht, wundern sie sich nicht einmal. „Vielleicht wussten sie schon vor mir, was los war. Vielleicht waren sie auch einfach nur erleichtert, weil es einen Grund gab für meine Depressionen und meine destruktiven Verhaltensmuster. Es war gut, dass sie mich nie gedrängt haben. Ich bin ein Mensch, der seinen Weg alleine finden muss.“
Jetzt ist Konstantin bei sich angekommen: „Die meiste Zeit überrascht es mich noch, wie losgelöst ich mich mittlerweile von meinem alten Namen fühle.“ Natürlich gibt es auch diese kleinen Momente, in denen die Vergangenheit sich meldet: „Wenn ich nichtsahnend mit meinem alten Namen in Berührung komme, zwickt es irgendwo im Bauch. Total seltsam und irgendwie sehr schwer einzuordnen. In solchen Momenten frage ich mich dann auch, wie das wohl für meine Eltern, Schwester oder den Rest der Familie ist, wenn sie irgendwo diesen Namen hören…“
Zu Beginn seiner Transition lebt Konstantin in Mannheim. „Dorthin würde ich sofort zurück gehen. Das war eine wahnsinnig gute Zeit. Ganz tolle Menschen habe ich dort kennenlernt, die mir sehr geholfen haben. Es war ja alles ein wenig schwer am Anfang.“ Es dauert lange, zu lange, bis das Testosteron anschlägt. Zwar wird das Äußerliche immer männlicher, aber die Stimme macht noch nicht mit. „Ich habe in einem Club gearbeitet. Wenn ich gegen die laute Musik anbrüllen musste, kippte meine Stimme regelmäßig ins Weibliche. Da wurde ich schon mal dumm angemacht. Aber das ganze Team aus der Bar hat zu mir gehalten. Wenn es ganz schlimm wurde, kam auch mal der Türsteher und beförderte einen Gast nach draußen. Ich bin so dankbar dafür, dass diese Menschen Teil meines Lebens sind!“
„Wofür steht Dein Tattoo?“, frage ich ihn. „Das ist ein Flieger mit eingedrückter Nase. Er ist ein wenig ramponiert, aber das fällt kaum auf. Fliegen kann er noch. Und Fliegen ist Freiheit.“
„In der Schule habe ich immer Papierflieger gebastelt. Das Falten mit Papier zieht sich durch mein Leben. Immer mache ich irgendetwas mit Papier. In der Agentur haben wir ein Plakat für eine Ausstellung für das „Schwule Museum“ in Berlin konzipiert, dafür habe ich Papiermäuse gefaltet.“
Nun wird es doch ein wenig frisch, wir suchen uns ein Café und wärmen uns mit einem Pfefferminztee.
„Seit ich wieder lebe, genieße ich diese ganzen ersten Momente sehr. Ich kann alles noch einmal zum ersten Mal erleben.“
Beeindruckt ist Konstantin noch immer davon, wie sehr Hormone die Herrschaft übernehmen können. In manchen Situationen fühlt er sich von dem Testosteron überrollt. „Wenn ich mich über etwas ärgere, merke ich richtig, wie es langsam in mir hochkocht, mir in die Hände schießt und sich mein ganzer Körper anspannt. Mir wird dann ganz heiß vor lauter Wut und es braucht schon ein bisschen Willenskraft sich wieder runterzufahren. Das war früher nicht so, Wut fühlt sich jetzt definitiv anders an.“
Auf die körperliche Kraft, die das Testosteron mit sich bringt, hat Konstantin sich sehr gefreut. „Ich habe immer viel Sport gemacht. Und auf einmal bringt das richtig was. Wenn ich jetzt regelmäßig ins Fitnessstudio gehe, sehe ich schnell echte Ergebnisse. Das ist schon toll und ein großer Ansporn.“ Mit seinem 40 Stunden Arbeitstag musste Konstantin erstmal eine Routine entwickeln. Mittlerweile braucht er den Sport als Ventil. „Wenn ich eine Woche lang keinen Sport gemacht habe, weiß ich nicht, wohin mit meiner Energie.“
Den Alltag als Mann zu leben, die Erwartungen, die an Männer gestellt werden, zu erfüllen, findet Konstantin noch schwierig. „Ich bin ja nicht als Mann sozialisiert worden und ich möchte auch nicht irgendwelchen Erwartungen, die vermeintlich an Männer gestellt werden und die ich nicht kenne, hinterherhecheln. Ich bin nunmal kein CIS-Mann und werde auch nie einer sein. Ich bin und bleibe ein Transmann. Das anzunehmen, war echte Trauerarbeit, aber ein wichtiger Schritt, um mit mir glücklich zu werden.“
Wie geht er im Kontakt mit anderen Menschen mit seinem Transsein um? „Das ist immer ein Balanceakt zwischen Offenheit und Selbstschutz. Ich möchte nicht jeden, dem ich auf der Straße begegne und mit dem ich ins Gespräch komme, in meine Vergangenheit einweihen. Wozu auch?“
Dennoch geht Konstantin mit seiner Geschichte auch an die Öffentlichkeit. Er möchte etwas für die Anerkennung von Menschen mit transidentem Hintergrund erreichen. Deswegen ist Konstantin bei „Max ist Marie“ dabei. Deswegen auch erstellt er Videos für einen You-Tube-Channel, in dem es um Transidentität geht.
„Es ist schon faszinierend, dieses Gefühl, wenn man sich in seiner eigenen Haut zum ersten Mal wohl fühlt, wenn man endlich ankommt. Ich erinnere mich noch genau an diesen einen Zeitpunkt, als ich vor dem Spiegel stand, mich ansah, mir in die Augen sah. Das muss letztes Jahr etwa um diese Zeit gewesen sein und ich war ca. ein halbes Jahr auf Testosteron. Ich stand also vor dem Spiegel und ich dachte „Ja Mann, das ist es!“ und mir kamen einfach nur die Tränen. Freudentränen, was für ein hammer Erlebnis und ich war in der Lage es zu teilen, der Community etwas zurückzugeben. In diesem Video spüre ich noch heute diese Erleichterung, dieses Gefühl der Zufriedenheit, was so neu für mich war.
Gemeinsam mit einer Trans-Frau hat er sich auch schon für eine TV Sendung interviewen lassen. „Ich habe da nur zugesagt, weil es eine Livesendung war, und ich so sicher sein konnte, dass niemand im Nachhinein etwas zurecht schneiden konnte. Wenn es ins Klischeehafte abgerutscht wäre, wäre ich gegangen. Man kann nicht für alle Transmenschen sprechen. Wir sind ebenso eine homogene Gruppe wie zum Beispiel Rothaarige. Das habe ich den Moderatoren vorher gesagt. Ebenso, dass bestimmte Begriffe in der Sendung nicht fallen dürfen.“ Tatsächlich standen auf dem Zettel der Moderatorin die Worte „transsexuell, Transsexualität“.
„Diese Bezeichnung kann ich überhaupt nicht leiden, da sie total irreführend ist. Mit den Begrifflichkeiten, mit denen man im Gebiet der Transsexualität herumjongliert, bewegt man sich auf ganz dünnem Eis. Das ist für jemanden, der sich in diesem Thema nicht auseinander gesetzt hat, natürlich sehr schwierig. Aber es ist sehr wichtig, hier aufmerksam zu sein. Ein Mensch mit transidentem Hintergrund ist nun mal nicht transsexuell. Das ganze hat mit Sexualität überhaupt nichts zu tun!“
Wir schlendern noch ein wenig durch die Straßen in Prenzlauer Berg. An jeder Ecke eine hübsche Kneipe nach der anderen. „Das ist das Tolle an Berlin! Man hat eine Riesenauswahl. Und andererseits wird man davon ganz verrückt, weil man ja nicht alles ausprobieren kann.“ Ein Lächeln, man spürt, wie wohl Konstantin sich hier fühlt.
Konstantin, wovon träumst Du? „Oh, da muss ich nachdenken…. Für mich hat im Moment jeder Tag etwas Traumhaftes. Weil ich etwas lebe, wofür ich lange gekämpft habe. Ich bin endlich ich!“ Pause. „Vor kurzem hatte ich eine ganz verrückte Erkenntnis: der Gedanke, plötzlich ganz traditionell eine Familie haben zu können! Vielleicht wird das auch mal ein Traum. – Wobei sich das auch seltsam anfühlt, weil ich mich immer so fernab der Heteronormative empfunden habe..irgendwie.“ Wieder lacht Konstantin und ich finde, das ist ein schöner Schlusssatz, der gespannt macht darauf, wie es weitergeht in Konstantins Leben.