Bea
Posted on 22/09/2015 by kathrin
Zürich im September 2015
Im Taxi holt Bea mich vom Flughafen in Zürich ab. Fast hätten wir uns verpasst. Ihr Zug, mit dem sie aus Lausanne kam, hatte Verspätung. Hätten wir keine Handys gehabt, wie hätten wir uns dann finden sollen?
Darüber lachen wir später, als Bea feststellt, dass sie ihr Handy auf unserer Fahrt vom Flughafen in ihr Büro im Taxi vergessen hat. „Früher, als wir noch keine Handys hatten, ging es doch auch irgendwie.“
Bea macht jetzt den Selbsttest: mindestens drei Tage ohne Handy. Denn so lange wird es dauern, bis der Finder ihres nach Berlin geschickt haben wird. „Das wird spannend, mal eine ganz neue Erfahrung.“
Kennengelernt haben wir uns, als Bea „Max ist Marie“ in ihrem Stadthaus in Berlin ausstellte. Das war im Mai.
Damals verabredeten wir uns für ein Treffen in der Schweiz. Nun also sind wir in Zürich, dem Sitz ihrer Firma Zattoo International.
In Lausanne hat Bea die letzten zwei Tage an einem Kongress des IMD teilgenommen.
Zwei Tage mit anderen top-Frauen in Führungspositionen. Thema: „Frauen im höheren Management.“ So bewegt ist sie von dem, was sie dort von anderen Frauen erfahren hat, dass unser Gespräch davon bestimmt sein wird.
„Da hörst du Sachen…. Ich muss das jetzt erstmal alles verarbeiten. Mir war ja gar nicht klar, in welche Welt ich mich da als Frau begeben habe und wie schlimm es darum bestellt ist. Es ist ganz unglaublich.“
Dabei sei es ganz einfach, Frauen zu integrieren, stellt Bea sachlich fest. „Das ist ein Change-Management-Prozess. Der macht schon aus wirtschaftlicher Sicht Sinn. Außerdem haben Frauen diesen Respekt verdient: Immerhin schenken sie Leben!“
Nach einer Viertelstunde sind wir bei Zattoo angekommen, der Firma, die Bea 2005 mit ihrem damaligen Geschäftspartner gründete. Damals noch als Beat. Zattoo ist der erste Schweizer Web-TV-Anbieter. 70 Mitarbeiter hat die Firma heute. „Ich höre auf meine Leute, und sie auf mich, deswegen gibt es uns noch.“
Bea kennt die harte Welt des Unternehmertums aus beiden Perspektiven – der männlichen und der weiblichen:
2012 nahm der Geschäftsführer Beat eine mehrmonatige Auszeit und kam als Bea zurück in die Firma.
Es ist Sonntag, wir sind alleine im Gebäude. Ein Büro hat Bea hier nicht; sie ist zu viel unterwegs, als dass sich das lohnen würde. Bea macht uns einen Kaffee und wir nehmen in einem der Meetingräume Platz.
Nach dem Kongress der letzten zwei Tage und den Geschichten, die sie dort zu hören bekam, beschäftigt Bea die Genderthematik mehr denn je.
Etwas lässt sie nicht los: „Vor vielen Jahren war ich bei IMD für ein Team verantwortlich, das Lego betreute. Dieses Team habe ich sogar selber zusammengestellt. Nun traf ich die Kollegen von damals wieder. Jemand fehlte. Ich wusste, wir waren damals zu fünft. Aber ich konnte mich überhaupt nicht erinnern, wer die fünfte Person war. Das hat mich völlig irritiert. Wie kann es sein, dass ich einen Menschen, der in meinem Team war, einfach vergesse? Ich saß also einen Tag lang da und überlegte, WER es war, der mir da nicht einfiel. Irgendwann kam ich drauf: es war eine Frau. Die einzige Frau in diesem Team.“ Noch immer ist Bea völlig fassungslos. Wie kann ausgerechnet ihr das passieren: sich an die Männer zu erinnern und die Frau zu vergessen!?
„Ich war Feminist! Ich war Aktivist! Das kann doch gar nicht wahr sein! Welche gruppendynamischen Prozesse wirken da!?“
Bea sieht es als typisches Beispiel für das, was in der Männerwelt passiert und was die Gleichstellung von Frauen verhindert: „Auf einem Projekt sind Männer wie Wölfe. Die kämpfen wirklich hart. Eine Frau, die keine Lust auf diese Kämpfe hat, exkludiert sich selber.“
Genau das geschehe ihr jetzt manchmal ebenso: „Zeitweise bin ich für die Männer im Team einfach Luft. Aha, denke ich, so fühlt sich das also an. Das wäre früher nie passiert. Dabei habe ich nichts getan, als das Geschlecht zu wechseln.“ Eine ganz neue Erfahrung der Teamarbeit sei das für sie.
„Ich habe festgestellt, dass es auch noch unterschiedliche Formen von „Luftsein“ gibt: das ganz normale Luftsein, bei dem man als Frau im Männerteam einfach nicht wahrgenommen wird. Und das desavouierende Luftsein, bei dem so getan wird, als dürfe die Frau schon auch noch ihre Bedenken äußern und dann werden die Bedenken mit einem Kopfschütteln quittiert: „Die hat einfach nichts begriffen.“ Da ist man dann der Behinderer bzw „die Behinderin“. Dass die Bedenken auch eine Berechtigung haben könnten, wird gar nicht in Erwägung gezogen.“
Eine Frau alleine werde in Männerteams zur Seite geschoben. Deswegen ist Bea in Bereichen, in denen es um „Abwägen, Decision Making und Risk Management geht“ für die Frauenquote. Auf der anderen Seite müsse man aber auch gendertypische Fähigkeiten anerkennen.
Körperliche Grenzen seien doch ganz offensichtlich, von Männern aber schwer zu verstehen: „Ganz profan: meine Muskelkraft ist jetzt geringer. Ich kann nicht mehr so viel lupfen. Die Männer um mich rum denken, ich sei jetzt auch eine von den Frauen, die sich prinzessinnenhaft bedienen lassen. Fakt ist aber: es geht einfach nicht mehr; meine Kraft ist nicht mehr so groß wie früher. Mal eben einen Koffer in den xten Stock zu tragen, ist viel anstrengender als früher: da ist es doch schön, wenn ein Mann helfen kann.“
Räumliches Denken, Muskelkraft… Unterschiede, die man nicht weg diskutieren könne. „Wenn wir in Berufen, in denen männertypische Fähigkeiten gebraucht werden eine Frauenquote einführen würden, würden wir uns einen ganz großen Schaden zufügen. Wenn wir neu sortieren, müssen wir auch die Gender Variance neu betrachten.“
Manchmal werde in Berufen eine Linie gezogen, die sich an männlichen Fähigkeiten bemesse. Damit seien Frauen außen vor. „Sieh dir die Raumfahrt an. Da wurde beschlossen, dass man kurzzeitig Fliehkräfte der 9-fachen Erdanziehung aushalten muss. Das hält der weibliche Körper womöglich gar nicht aus. Heute erschliesst man den Weltraum auch mit weniger Fliehkräften und kann dafür Frauen mitnehmen. Diesen Ausschluss gibt es in so vielen Bereichen.“
Beas gestriger Tag bei der Konferenz war voll von Berichten über willkürlich gezogene Grenzen, über Meetingerfahrungen von Frauen im Männerrudel, vom Luftsein.
„Was der Gendergeschichte hilft, ist die Tatsache, dass Männer auch Töchter haben. Sagt ein Vater zu seiner Tochter: „Spiel du mal mit Barbies und sieh sie dir genau an, dann weißt du, was Männer sich als Frau wünschen; lerne, dich zu schminken und dann angel Dir einen reichen Mann?“ Wohl kaum. Diesen Lebensbauplan wünscht sich doch niemand für seine Tochter. Da kann man einem Manager, der selber Töchter hat und der einer Frau nach der Babypause sagt, sie müsse sich jetzt entweder für die Karriere oder für den Herd entscheiden, doch hübsch den Spiegel vorhalten.“
„Männer fressen aber auch viel Dreck. Über ihre Gefühle reden sie nicht. Es gibt da ein sehr passendes Schweizer Kinderlied:
Es schneielet, es beielet,
es got en chüele Wind.
D Meitli leged d Händsche a
und Buebe laufed gschwind.
Genauso ist es doch: Die Jungs laufen schnell weiter, jeder für sich; Mädchen nehmen sich an der Hand, helfen sich gegenseitig.“
Frauen könnten Männern helfen zu sehen, wie reich das Leben sein kann. „Die Erfahrungen, die Männer und Frauen machen, sind hormonell bedingt fundamental unterschiedlich. Das Leben hat tausend bunte Farben. Männer sehen aber nur einen Bruchteil davon; die rennen durch die Gegend auf der Suche nach Erfolg. Da bleibt kaum Platz für anderes. Beruflicher Erfolg ist für sie Überlebensbestandteil. Dabei verpassen sie dann alles andere. Irgendwann sind sie Ende 50/Anfang 60 und fragen sich, ob es das gewesen ist. Mit der Frau gibt es keine gemeinsame Basis mehr, sie hatte schon lange einen Schlussstrich gezogen, er hat nichts mitbekommen, sie verlässt ihn und alles bricht zusammen.“
Nach unserem Gespräch muss Bea zurück zum Flughafen – von dort wird sie nach Berlin fliegen.
Es erwarten sie zwei volle Tage: Bea ist Teil einer Forschungsgruppe der EU zum Thema Cross-Media Annotations, die sich nun in Berlin treffen wird.
Mitte der Woche geht es weiter nach Amsterdam, wo sie an einer großen Konferenz der TV Welt, dem IBC, teilnimmt.
„Ich will die TV Welt verändern. Wir verbringen sechs Jahre unseres Lebens vor dem TV. Das ist eine riesige Industrie. Auf der Konferenz halte ich es allerdings immer nur zwei Tage aus. Das ist völlig überwältigend. Man denkt immer, man könne etwas bewegen und dann stehst du in dieser Masse von Menschen, wirst überflutet von Informationen und weißt: du bist nur ein kleines Rad. Wir sind alle nicht so wichtig, wie wir glauben. Eigentlich werden wir durch unser Leben getrieben wie Wüstengras über den Sand.“
Pingback: Bea Knecht für Max ist Marie - Transgender Fotoprojekt | Max ist Marie
Liebe Kathrin, liebe Bea,
Was für ein schönes Porträt! Was für eine tolle, starke und hübsche Frau! Ich bin ehrlich begeistert und war auch sehr positiv davon überrascht, dass dieses Porträt so ganz anders ist als die anderen. Dass es hier nicht vorrangig um die eigene Geschichte, sondern um unsere Gesellschaft und Frauen in der Arbeitswelt geht. Sehr interessant, dass einmal von jemandem zu lesen, der beide Seiten erlebt hat und wohl am besten beurteilen kann, wie die Rollen manchmal verteilt sind.
Besonders ein Satz spricht mir wirklich aus dem Herzen: „Wir sind alle nicht so wichtig, wie wir glauben.“ Welch wahre Worte! Wenn sich mehr Menschen diese zu Herzen nehmen würden, sähe die Welt schon ganz anders aus.
Liebe Grüße
Nika